Mein zweites Zuhause
Chiara ist "a Herrin Tiger" - was das ist und ob sich der amerikanische Schulalltag von dem in Österreich stark unterscheidet erzählt sie in ihrem Erfahrungsbericht.
Rehe, die einfach über die Straße laufen, Maisfelder so weit das Auge reicht und ein typisch amerikanischer Ort vor der Haustür – ich habe im Mittleren Westen der USA mein zweites Zuhause gefunden und dort im »Coronajahr« zehn Monate verbracht. So sah mein Auslandsjahr in den USA aus.
Der Start in mein Auslandsjahr
Die Vorbereitungszeit war auf Grund von Corona von großer Ungewissheit geprägt. Erst circa drei Wochen vor meinem Abflug kamen die guten Neuigkeiten, dass wir in die USA einreisen dürfen. Von da an ging alles sehr schnell. Innerhalb von einer Woche hatte ich meinen Termin beim Konsulat, habe mein Visum bekommen und letztendlich auch meine Flugdaten. Mitte August ging es dann endlich mit viel Vorfreude und Aufregung im Gepäck für mich los. Über Frankfurt nach Chicago und von dort aus nach St. Louis, wo ich sehr herzlich von meiner Gastfamilie mit einem »Welcome Chiara«-Plakat empfangen wurde. Ich bin erst mal fast an ihnen vorbeigelaufen, da ich nicht wusste, dass es ihnen erlaubt ist, bereits beim Gepäckband auf mich zu warten und somit hatte ich noch gar nicht damit gerechnet, sie dort zu sehen.
Nach nur zwei Tagen Einleben ging es für mich dann auch gleich schon in die Schule. Denn meine Schule hatte bereits eine Woche davor angefangen, ich kam nur leider etwas verspätet an. Meinen Stundenplan hatte ich schon im Vorhinein über Facetime mit meiner Gastmutter und meiner »guidance counselor« an der Schule erstellt.
Mein amerikanisches Zuhause
Gelebt habe ich in Herrin, einem Ort mit knapp 13.000 Einwohnern in Southern Illinois. Die nächstgrößte Stadt, St. Louis, war circa zwei Stunden entfernt. Meine Gastfamilie war eine große Patchwork-Familie mit vielen Kindern. Daheim gewohnt haben meine Gasteltern, mein älterer Gastbruder und meine jüngere Gastschwester, mit der ich mir auch ein Zimmer geteilt habe. Noch dazu haben drei Katzen und zwei kleine Hunde unsere Familie komplett gemacht. Vor allem die zwei sind mir tatsächlich sehr ans Herz gewachsen und so konnte ich meine Angst vor Hunden immerhin ein bisschen überwinden.
Zu meiner Gastschwester sowie auch zu meinen Gasteltern hatte ich ein sehr gutes und offenes Verhältnis, ich habe mich wirklich vom ersten Tag an wie ein Familienmitglied gefühlt und wurde auch immer so behandelt. Das heißt, es war für mich auch selbstverständlich, im Haushalt zu helfen. Ich habe jeden Tag mehrmals die Küche geputzt, beziehungsweise die »dishes« gemacht, immer wieder den Müll rausgetragen und auch gekocht.
Nach etwa zwei Monaten musste sich mein Gastvater leider mehreren Operationen unterziehen und noch dazu wurde er in dieser Zeit mit einer Krankheit diagnostiziert, die sich natürlich auf das restliche Jahr ausgewirkt und die Familie und mich auch teilweise eingeschränkt hat. Das war manchmal hart, aber ich habe mich in dieser Familie so wohl gefühlt, dass ich nicht die Gastfamilie wechseln wollte. Denn ich glaube, eine passende Gastfamilie ist sehr wichtig für einen erfolgreichen Auslandsaufenthalt und ich bin daher umso dankbarer, dass das bei mir so gut gepasst hat.
Freundschaften in den USA
Keine Freunde zu finden war meine größte Sorge. Vor allem, da man ja immer wieder hört, dass Amerikaner sehr oberflächlich sind. Dies ist tatsächlich so, aber das heißt auch, dass man mit jedem gut klarkommt, und wahre Freundschaften entstehen sowieso nicht von heute auf morgen, sondern brauchen Zeit. An meinem ersten Schultag hat mich ein Mädchen angesprochen, das mich dann auch gleich all seinen Freunden vorgestellt hat und ich war sofort in deren Clique drinnen. Das war sehr nett und ich hatte dadurch auch sofort Anschluss. Gleichzeitig dachte ich mir aber, dass ich mit diesen Leuten zu Hause in Österreich vielleicht eher nicht befreundet wäre und war etwas verunsichert. Trotzdem habe ich mich mit ihnen bis zum Ende meines Auslandsjahres und auch heute noch gut verstanden und wir hatten auch immer Spaß, wenn wir Zeit miteinander verbracht haben.
Meine beste amerikanische Freundin kannte ich zwar auch schon seit meinem ersten Schultag, so richtig angefangen zu reden haben wir aber erst im Oktober und bis wir dann »best friends« wurden, hat es natürlich gedauert. Vor allem in den letzten Monaten wurden wir aber unzertrennlich, wir erzählen uns und reden über alles und haben so viel Zeit miteinander verbracht. Meine andere beste Freundin war eine Austauschschülerin aus Thailand, die bei meiner »local coordinatorin« gelebt hat. Diese Freundschaft war natürlich auch besonders und habe ich sehr geschätzt, da wir das gleiche durchgemacht haben und uns immer gegenseitig verstehen und austauschen konnten. Noch dazu ist es einfach unbezahlbar und unglaublich bereichernd, Freunde aus aller Welt zu haben.
Meine anfängliche Sorge hat sich auch aufgelöst, denn Freundschaften, die mir vorher eher oberflächlich erschienen, wurden mit der Zeit sehr viel enger. Eines der besten Dinge, die ich aus meinem Auslandsjahr mitnehme, sind wirklich die neu geschlossenen Freundschaften und die Leute, die ich sonst nie kennen gelernt hätte. Auch wenn einem nicht immer alles einfach erscheint, sind ja doch die Beziehungen, für die man vielleicht etwas härter arbeiten muss, die, die bleiben.
Meine High School: Once a Herrin Tiger, always a Herrin Tiger
Meine Schule – die Herrin High School – war mit circa 700 Schülern von der Größe her nicht anders als meine Schule in Österreich. Vom ersten Tag an war ich ein »Herrin Tiger« und habe auch stolz Schulmerch in unseren Schulfarben orange und schwarz getragen. Natürlich musste ich einige vorgeschriebene Fächer wie Mathe, Englisch und American History nehmen, aber ich konnte auch außergewöhnlichere Klassen wählen, die ich sonst in Österreich nie gehabt hätte.
Mein Lieblingsfach war definitiv »Sports Medicine«, in der wir so viel Nützliches gelernt haben. Wir hatten nicht nur einen CPR und einen »Stop the Bleed« Kurs, sondern haben auch gelernt, wie man die unterschiedlichsten Gelenke richtig taped. Praktisch anwenden konnten wir unsere gelernten Skills dann bei den Games, denn meine Lehrerin war eigentlich ein »Athletic Trainer«, also diejenige, die sich bei den Spielen um Verletzte kümmert. Toll war daran auch, dass ich auf diese Weise trotzdem jeweils zu einem Basketball- und einem Volleyball-Spiel gehen konnte, was sonst wegen Corona leider nicht möglich gewesen wäre. Außerdem ist das Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern ganz anders als in Österreich. Viel freundschaftlicher, sie interessieren sich wirklich auch für dein Privatleben und wie es dir geht, es wird miteinander gescherzt, aber trotzdem geht nie der Respekt verloren.
Ein weiterer Punkt, den ich sehr geschätzt habe, war, dass wir fast das ganze Jahr über Präsenzunterricht hatten. Wir waren tatsächlich nie wegen Corona online, aber im Februar zwei Wochen wegen des Schnees. Im zweiten Semester wurde die Situation mit Corona wesentlich besser. Wir hatten sogar Prom, also unseren Abschlussball. Ich hatte auch endlich die richtigen Freunde an meiner Seite und in der Schule war ich auch sehr glücklich.
Meine Highlights
Natürlich war das ganze Jahr unvergesslich, aber um euch noch einmal ein bisschen einen genaueren Einblick geben zu können, möchte ich meine drei Highlights zusammenfassen.
Meine Zwillingsschwester hat zeitgleich ein Auslandsjahr gemacht, allerdings in Wisconsin, in einem kleinen Ort an der Grenze zu Minnesota. An einem Wochenende Ende März haben wir uns mit unseren Gastfamilien in Chicago getroffen. Es war so schön, auch ihre Gastfamilie kennenzulernen, wir haben uns alle sofort so gut verstanden und hatten ein wunderschönes Wochenende beim Besichtigen der Stadt.
Meine Gasteltern sind wie jede Person in Southern Illinois riesige Fans von den »Cardinals«, dem Baseball Team aus St. Louis. Mitte April hatten sie ein Spiel im Busch Stadium in St. Louis und meine Gasteltern haben für uns Tickets gekauft. Es war ein einmaliges Erlebnis, ein professionelles Baseball Game anschauen zu können und ich bin mehr als dankbar für diese Möglichkeit.
Letztendlich war ein absolutes Highlight natürlich, dass ich graduieren durfte, da ich ja ein Senior – also eine Zwölftklässlerin – war. Es war unbeschreiblich schön, als ich mit meinen Freunden in unserer Cap und Gown am Football-Feld stand, wir die Quaste von rechts nach links gelegt haben und unser Direktor der »Herrin High School’s Graduating Class of 2021« gratuliert hat. Nach diesen Worten haben wir alle unsere Konfettikanonen benutzt und uns gegenseitig mit »Silly String« angesprüht, während das Publikum gejubelt hat. Diesen Moment werde ich nie vergessen.
Eine Erfahrung fürs Leben
Abschließend kann ich sagen, dass meine Zeit in den USA einfach unglaublich bereichernd war. Es war ein sehr besonderes Jahr – vor allem durch Corona – mit Höhen und Tiefen, aber Aufgeben ist keine Option. Man soll Neues kennen lernen und ausprobieren, seine Komfortzone verlassen, sich seiner Werte bewusst werden und sein eigenes Zuhause schätzen lernen. Natürlich hat man immer irgendwelche Erwartungen, auch wenn man versucht, diese klein zu halten. Im Endeffekt kommt sowieso alles anders als geplant.
Es ist sehr mutig, alleine in ein neues Land zu gehen und ein komplett neues Leben zu starten. Auch wenn nicht immer alles super läuft, sammelt man Erfahrungen fürs Leben, findet neue Freunde und wächst als Person und entwickelt sich weiter. Klar vermisse ich mein Leben dort, aber es ist einfach unbezahlbar zu wissen, dass man ab jetzt zwei Zuhause hat. Auch wenn eines davon auf der anderen Seite der Welt liegt.
Eure Chiara