Mein Auslandsjahr in Nova Scotia
Das Leben beginnt außerhalb der Komfortzone. Anfangs verstand ich nicht, was damit gemeint war, aber mittlerweile ist es mein Lebensmotto.
Das Leben beginnt außerhalb der Komfortzone. Diesen Satz hat mein »PE Leadership«-Lehrer während meines Auslandsjahrs in Kanada immer wieder erwähnt. Anfangs verstand ich nicht, was damit gemeint war, aber mittlerweile ist es mein Lebensmotto.
Mein Name ist Sophie, ich bin 19 Jahre alt und habe im Jahr 2018/19 einen einjährigen Auslandsaufenthalt in Nova Scotia gemacht. Nun ist mein Auslandsjahr schon knapp drei Jahre her und trotzdem beeinflusst es mein Leben täglich. Es ist eine Erfahrung, die ich niemals missen möchte und die mich nicht nur erwachsener gemacht hat, sondern auch meinen eigenen Horizont erweitert hat.
Ich war 14 Jahre alt, als ich den Entschluss für mich getroffen habe, dass ich ins Ausland möchte. »Bald bist du doch fertig mit der Schule« und »Du bist zu jung, um ins Ausland zu gehen« waren die ersten Reaktionen meiner Freund:innen und Familie, als ich mit der »Schnapsidee« um die Ecke kam. Schnell formte sich aber aus der Schnapsidee ein Plan. Mit PowerPoint und Notizzetteln stellte ich meiner Familie meine Idee vor und konnte alle von meinem Vorhaben überzeugen.
Nun stand mir die Welt offen und ich konnte entscheiden, wohin ich möchte. Da ich die englische Sprache liebe, war schnell klar, dass ich in ein englischsprachiges Land will. Zudem war mir wichtig, dass ich in ein Land mit einer offenen und toleranten Kultur gehe und die Gesundheitsversorgung gut ist. So stand der Beschluss schnell fest. Ich will nach Kanada. Ich durchforstete viele Erfahrungsberichte und Artikel und versuchte festzustellen, welches Programm am besten zu mir passt. Schließlich landete ich beim Nova Scotia International Student Programm (NSISP) und bereue keinen Moment lang, dass ich mich dafür entschieden habe.
Mein Leben dort war großartig. Ich lebte die ersten fünf Monate mit einer spanischen Gastschwester und zwei kleinen Gastgeschwistern auf einer kleinen Farm, direkt an einem Skigebiet. So sind meine Gastschwester und ich jeden Tag nach der Schule zum Skigebiet gelaufen und sind Snowboard gefahren, bis der Lift geschlossen wurde.
An meiner Schule waren wir viele Austauschschüler:innen und so lernte ich nicht nur Kanadier:innen kennen, sondern junge Menschen aus vielen verschieden Kulturen kennen. So bestand meine Freundesgruppe am Ende aus Brazilianer:innen, einer Dänin, Spanier:innen und Kanadier:innen.
Das Schulleben in Kanada ist anders, als es hier in Deutschland ist. Ich habe Kurse belegt, die es hier so nicht gibt. Zum Beispiel »PE Leadership«. In diesem Kurs ging es darum, zum Gruppenleiter ausgebildet zu werden. Wir haben Campingtrips gemacht, Achtklässler:innen über persönliche Grenzen unterrichtet und mit Grundschüler:innen verschiedene Team Building-Projekte gemacht. In diesem Kurs sind wir als Familie zusammengewachsen und ich habe wahnsinnig tolle Menschen kennengelernt.
Neben »PE Leadership« habe ich zwei Semester lang Geschichte belegt. Als ich das zu Hause erzählte, konnte sich das keiner Vorstellen. »Du und Geschichte? Und dann auch noch kanadische Geschichte?« Ja, so hätte ich auch reagier. Dann hat mir die Unterrichtsform und die Lehrerin aber so gut gefallen, dass ich im zweiten Semester sogar noch »Global History« belegt habe.
Da wir viele Internationals an unserer Schule waren, haben wir viele verschiedene Unternehmungen gemacht. So haben wir zum Beispiel für die »Pumpkin Regatta« einen riesigen Kürbis als Garfield angemalt, haben ein Profi Eis Hockey-Spiel besucht oder waren Curling spielen. Es war großartig, so viele Menschen aus verschiedenen Kulturen kennenzulernen, weil ich so die Möglichkeit hatte, nicht nur die kanadische Kultur, sondern auch viele andere besser kennenzulernen.
Ich habe das gesamte Jahr über großartige Dinge erlebt und durfte mit Prom mein Schuljahr dort gebührend abschließen. Es war ein traumhafter Tag, alle waren so glücklich, dass das Schuljahr um war und nur bei den Austauschschüler:innen machte sich der Gedanke des Abschiedes langsam breit. Denn auch der musste irgendwann kommen.
Im Nachhinein bin ich froh, dass Hanna, meine deutsche Freundin aus Hamburg, und ich die ersten waren, die aus unserer Freundesgruppe nach Hause flogen, denn so wurden wir von allen am Flughafen verabschiedet. Mit dem Motto, wir wollen nicht weinen, betraten wir das Flughafengebäude. Als ich dann aber in die tränengefüllten Augen meiner Gastmutter schaute, konnte ich mich nicht mehr zusammenreißen. Nach einem Jahr voll mit Gefühlen dachte ich, dass es nicht noch aufwühlender werden kann, aber das war es doch. Nichts in meinem Leben war bisher so emotional wie das Abschiednehmen von meinem Leben in Kanada. Der Gedanke, in den Flieger zu steigen, alles hinter mir zu lassen und in sieben Stunden meine Familie wieder in den Arm schließen zu dürfen, war der Wahnsinn und einfach nur überwältigend. Nach einem sehr tränenreichen Flug und dem Abschied von Hanna am Flughafen in Frankfurt lief ich zur Gepäckabholung und fragte jemanden auf Englisch, wo denn das Gepäckband für meinen Flug sei. Als mir diese Person dann auf Deutsch antwortete war mir klar: Ich bin zurück.
Der Empfang zurück bei meiner Familie war ebenfalls tränenreich, obwohl ich dachte, dass ich gar keine Tränen mehr übrig hätte. Ich war überglücklich wieder zu Hause zu sein, aber auch so traurig, dass mein Auslandsjahr nun endgültig vorbei war. Mir fehlten wortwörtlich die Worte, denn nach einem Jahr nur Englisch sprechen plötzlich wieder Deutsch zu reden war gar nicht so einfach. Besonders, wenn man müde ist, und so war es bei mir. Zu Hause angekommen wartete eine Überraschungsparty mit all meinen Freund:innen auf mich. Es war wunderschön, alle wieder zu sehen und in die Arme schließen zu dürfen.
Das Leben beginnt außerhalb der Komfortzone. Ja, das stimmt. Aus sich rauszukommen und offen auf neue Dinge zu zugehen, bereichert einen selbst und alle um einen herum. Ich würde mein Auslandsjahr für nichts eintauschen, denn alle Höhen und Tiefen, die ich dort durchlebt habe, haben mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin. Es ist nicht nur ein Jahr irgendwo anders, sondern so viel mehr. Man kann aus diesem Jahr machen, was man möchte, neue Dinge ausprobieren und an allen Problemen und Hürden wachsen. Denn es ist mehr als nur ein Schulbesuch im Ausland, es ist ein komplettes Leben, was einem für immer bleibt und prägt.
Eure Sophie